Renate Golpon
Wegelos
Dieser nicht mehr begehbare, der
ganz umgangene Wildkräuterweg.
Einen Bannmeter quer
durch die dornigen Rosen geführt,
niemals mehr beim Verwildern gebremst.
Wieder Konfrontation mit
geschleuderten Worten, wie:
Bruchholz und Schneidgräser, Zeit.
Moderne Gedichte erschließen sich nur selten gleich beim ersten Lesen. Wenn es Gedichte sind und nicht einfach nur zufällige, banale oder pseudo-tiefsinnige Wortmontagen,
dann enthalten sie eine mehr oder weniger deutliche Aussage(absicht), auch Intention genannt.
Wohl jeder erinnert sich aus seiner Schulzeit an die „beliebten“ Gedichtinterpretationen. Ich deute mein Gedicht „Wegelos“ nach dem damals eingebleuten Schema. INTERPRETATION
|
Viele zeitgenössischen Gedichte wirken wie bruchstückhafte,
unverständliche Prosatexte, jedenfalls auf Rezipienten,
die Lyrik mit gebundener Sprache gleichsetzen
und kaum etwas anderes kennen als
Gebrauchs- und Gelegenheitsgedichte.
Fast allen meinen Gedichten auf dieser Seite „fehlt“ der Endreim,
und auch auf das Metrum habe ich in der Regel verzichtet.
Freie Rhythmen, dazu Sprachmelodie und Zeilenumbruch,
akzentuierte Verse also, kennzeichnen die Gedichte
aber eindeutig
als poetische Formen der Lyrik.
© Juli 2006 für sämtliche hier veröffentlichten Gedichte: Renate Golpon
Die meisten der nachfolgenden Gedichte
unter den Rubriken leben, dahingesagt und zugeklappt
sind einfacher strukturiert als „Wegelos“ (links oben)
und bedürfen daher keiner Interpretation. |
leben
kontinuierlich
das kind
von den eltern gestaucht
verlor vertrauen
der schüler
vom lehrer bloßgestellt
verlor vertrauen
der jüngling
vom mädchen verlassen
verlor vertrauen
der mann
vom weib gezogen
verlor
elternhaus
fugenmörtel bröckelt
wilder wein
erobert den giebel
wie in jedem jahr
beziehen schwalben
ihre nester
knarrende fensterläden
grün gestrichen
schließen den tag
wieder liege ich
im alten bett
als großes kind
nur meine träume
ganz anders
als damals
roter faden
im leben
nicht
immer sichtbar
abgerissen
am ende
ein knoten
sand
in den
schuhen
zwischen den
fingern
in den
augen
blind umhertasten
zerrieben
sommer
ich verlor den tag
auf der sonnengebräunten wiese
blütenstaubgepudert
meine bloßen beine
taubnesselgerötet
meine nackten fersen
am horizont das feuerrad
rollt auf den wald zu
herbst
der herbststurm
bewirft den rasen
mit laub und zweigen
zu abrupt
hat mich der sommer
in den herbst katapultiert
noch verwirrt
schlag ich mir das glück
aus dem sommerkopf
tagträume
schäfchenwolken und
apfeltaschen
zwischen blau und
grün der tag
ich legte den tag
mit den stunden
auf die zweige
als ich erwachte
war es nacht
heute
ging ich
allein
durch den
wald
aber
du warst
an meiner
seite
besprechung
wir reden viel
wir sagen nichts
doch augen und gesten
sagen alles
warum
warum so spät?
warum erst jetzt?
warum überhaupt?
warum
Licht
Nüchtern und hell –
Begegnung bei Tag.
Doch offenen Auges
träumte ich doch
nur von der Nacht.
Inspiriert
Lange war ich wie tot.
Aber du hast mich nun
wieder neu inspiriert –
und weißt dennoch von nichts!
Blitzschlag
Wie ein Blitz aus heitrem Himmel –
Funken sprühen –
Wie elektrisiert
stehen wir da.
Aber Blitzableiter
gibt es nicht!
Ablenkung
Von trockenen Zahlen
schaue ich auf,
schließe die Augen –
und sehe nur dich!
Wild
Mild und abgeklärt
sieht mich der Tag.
Wild und aufgewühlt
flieg ich jedoch
durch meine Träume.
Der Seehund
Neulich noch
trieb er Meer vor sich her,
schwamm er jung, voller Schwung,
immer peitschend die Gischt.
Heute nun
ist er fort von dem Ort.
Unsre Küste war ihm
wohl zu voll und zu laut.
Ausflug
Der junge Buntspecht verließ
zum ersten Mal das Nest,
flatterte auf die Äste,
während hinter der Hecke
die graugetigerte Katze
gierig zum Sprung ansetzte.
Verschwendung schöner Farben
gerade erst erlernter Grazie.
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dahingesagt
schlange
die feigen fürchten
deinen giftzahn
die mutigen bewundern
deine wendigkeit
derartiges
vernähme ich gern
über meine verse
das leben
überquert
die flüsse
auf eselsbrücken
du bist
wie eine melone
in einem korb
dem der boden
fehlt
sie hat sich
tränensäcke
unter die augen
geweint
regen
spült die
vergangenheit
hinweg
der wind pfeift
übers feld
die hecken
ducken sich
die grauen wildgänse
ziehen schneller
als die
grauen wolken
der zaunkönig
kriecht
ins rosennest
die hornisse
flieht
herbst
wind und regen
eichenlaub
an die scheiben
geklebt
stielabwärts
fällt das
gelbe blatt
auf das dach
wo der herbst
die blätter versammelt
zum ersten mal
verliert der rhododendron
seine blätter
zum letzten mal
winter
die wintersonne
hing über der linde
bevor sie in
die tanne fiel
auf dem eisbett
des sees
liebt der wind
den schnee
am abend
winterweißes
todeslaken
am morgen
schnee von gestern
mittagslicht
ausgesperrt
die hitze jedoch
erzwingt sich einlass
du warst
verschlossen
wie ein
buch
doch ich
hätte gern
darin gelesen
regen
er liebkost
mein gesicht
und macht
meine tränen
unsichtbar
hormone
himmelhoch jauchzend,
zu tode betrübt –
und das alles nur
bedingt durch hormone?
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zugeklappt
wer zieht
den vorhang zu
wer streicht
die falten glatt
wer fegt
die farben zusammen
noch einmal sieht
das auge buntes
manchmal bleibt
am schluss
nur noch schmach
lauter lettern
schwarze ameisen
die sich verewigten
auf weißem papier
das
auch noch
zu allem
ungemach
jetzt deine
zeilen
prometheus
am felsen
erträgt seine ketten
ernährt seinen adler
und denkt
selbst im unglück
noch an das feuer
blutleere augen
blutleere lippen
ausgesogen
von der zeit
diesem vampir
roter falke
gefärbt
vom blut
der hingerichteten
taube
soll und haben
haben und ist
ist und sein
sein und schein
ich glaubte ihm
ging in jeden
winkel
umarmte
meinen tyrann
und belog mich
wie perfekt
ich tötete
gedanken
begrub träume
lebte sein
leben
unterdrücktes
drängt ans licht
schafft sich raum
steigt in die luft
weht mit dem wind
durch dürre zweige
verfängt sich im geäst
fällt zerbröselt
auf die sommerfarben
müde lider
augenringe
und der traurige
zug um den mund
zu viel erwartet
zu oft gehofft
zu oft
liebe
war sie vorbei
als ich briefe verbrannte
ist sie da
wenn ich worte umwinde
geht sie fort
wenn das lächeln im auge
erstirbt
mein mund
voller reifer
kirschen
früher
gehörte mein
kirschmund
dir
war das schon
alles
mag sein
war das nun
liebe
wer weiß
wie schnell aus tränen
meer wird
abschied
so viel noch zu sagen –
so viel noch zu klären –
so viel noch zu fragen –
so viel noch –
so viel –
so –
© Renate Golpon
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